1. Begriffsklärung
Die HBM setzt sich dafür ein, dass alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, gleiche Rechte genießen. Sie versteht Inklusion als einen andauernden Prozess, der immer wieder neu angestoßen werden muss. Ziel ist die volle, selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen mit und ohne Behinderung in einer in jeder Hinsicht barrierefreien und offenen Gesellschaft, in der Vielfalt als Bereicherung erlebt wird und individuelle Freiheit verbürgt ist.
Die HBM setzt sich dafür ein, überholte Vorurteile und Denkweisen über Behinderung zu überwinden. Sie betrachtet Behinderung nicht als Defizit, sondern als eine soziale Frage. Menschen mit Behinderung sind für die HBM eigenständige Menschen, die auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben die notwendige Unterstützung benötigen. Diese Unterstützung leistet die HBM nicht aus einer Haltung gut gemeinter Wohltätigkeit heraus, sondern aus der Überzeugung, dass Menschen mit und ohne Behinderung die gleichen Chancen in einer Gesellschaft haben sollen.
Die HBM ist sich bewusst, dass es vieler Anstrengungen bedarf, um ein barrierefreies Leben für alle Menschen in Ländern mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Ressourcen zu organisieren und zu finanzieren. Deshalb werden der Anspruch und die Realität von Inklusion immer wieder eine Herausforderung und langfristige Aufgabe bleiben.
2. Die Grundlagen im Verständnis von Inklusion
Die HBM orientiert sich in ihrem Verständnis von Inklusion an zwei Grundlagen:
- An der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und den internationalen Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK).
Der Artikel 24 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN BRK) befasst sich mit dem Thema Bildung. Darin erkennen die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung an. Die Staaten verpflichten sich dazu, „ein integratives (inklusives) Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen“ zu gewährleisten. Laut Artikel 24 der UN BRK ist sicherzustellen, dass Menschen nicht wegen einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden dürfen. Kinder mit Behinderung dürfen demnach Regelschulen besuchen. Alle Kinder und Jugendlichen sollen gleichberechtigt Zugang zu inklusiver, hochwertiger und unentgeltlicher Schulbildung haben. Das gleiche gilt auch für Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen.
Auf der Grundlage dieses Artikels fordert die HBM u.a.:
- Sehbehinderten und blinden Kindern und Jugendlichen müssen unterschiedliche Lernumgebungen zur Verfügung gestellt werden, die jeweils eine optimale schulische und persönliche Entwicklung ermöglichen. Diese Bildungsangebote können sowohl in Regelschulen als auch in speziellen Blindenschulen angesiedelt sein.
- Um die Qualität der Bildung blinder und sehbehinderter Menschen zu sichern, muss es verbindliche Standards für alle Bildungsumgebungen geben.
- Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern haben das Recht, das für sie beste Lernumfeld zu wählen und auch zu wechseln.
- Ebenso orientiert sich die HBM in ihrem Verständnis von Inklusion an den biblischen Grundlagen. Zentral sind für die HBM unter anderem zwei Texte:
- a) Der Schöpfungsbericht (1. Mose 1,26-27) spricht dem Menschen die Gottebenbildlichkeit zu und macht dabei keinen Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Die Zusage der Gottebenbildlichkeit schützt den Menschen vor jeder Form der Festlegung auf ein bestimmtes Menschenbild.
- b) Das paulinische Motiv vom Leib Christi (1. Korinther 12,26) beschreibt die große Chance der Vielfalt: Hier ist die Rede von einer Gemeinschaft, die vom gegenseitigen Geben und Nehmen lebt. Jede herablassende Haltung der einen gegenüber den anderen ist ausgeschlossen. Alle Menschen werden als gleichwertig und wichtig für die Gemeinschaft angesehen.
3. Inklusion in den Projekten der HBM
Alle von der HBM geförderten Schulen unterstützen die Inklusion. Sie sehen in der Bildung einen zentralen Schlüssel für eine inklusive Zukunft sehbehinderter und blinder Kinder und Jugendlicher. Aufgrund fehlender finanzieller und pädagogischer Ressourcen in den Regelschulen sowie gesellschaftlicher Rahmenbedingungen sind die Möglichkeiten einer inklusiven Beschulung in den Ländern Südostasiens sehr begrenzt. Daher kommt den Blindenschulen, mit denen die HBM kooperiert, eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Inklusion in den Ländern Südostasiens zu.
- In einer Blindenschule erhalten Kinder und Jugendliche ein optimales Lernumfeld, in dem sie spezifische Techniken erlernen und individuell nach ihren Bedürfnissen gefördert werden können. Diese gezielte Förderung schafft die Grundlage dafür, dass die Schülerinnen und Schüler später in der nicht immer optimalen Lernumgebung einer inklusiven Schule bestehen können. In der Regel besuchen alle Schülerinnen und Schüler der HBM-Partnerschulen ab der 7. Klasse eine inklusive Schule. Um die noch bestehenden Defizite in den Regelschulen auszugleichen, werden sie parallel durch das Personal der Blindenschulen pädagogisch begleitet.
- Speziell ausgebildete Lehrkräfte und multiprofessionelle Teams in den Blindenschulen sorgen dafür, dass sehgeschädigte Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden. In einer Gesellschaft, in der das Verständnis von Behinderung immer noch defizitär geprägt ist, braucht es Orte und Bildungsangebote, die das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl von Menschen mit Behinderung fördern, damit sie ihr Ziel eines selbstbestimmten Lebens verfolgen können.
- In Blindenschulen treffen Kinder und Jugendliche auf Gleichbetroffene. Dies hilft ihnen, ihre eigene Identität und Rolle besser zu verstehen und zu akzeptieren. Die Schule bietet einen Raum, in dem blinde Kinder und Jugendliche leichter soziale Kontakte knüpfen können und sich verstanden fühlen. In der Begegnung mit anderen Betroffenen können sie ihre spezifischen Erfahrungen austauschen und voneinander lernen. All dies trägt zu einer Stärkung der Persönlichkeit bei, die hilft, sich als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft zu verstehen und zu entwickeln.
Neben der direkten Hilfe für die Kinder tragen die Blindenschulen auch auf andere Weise zur Entwicklung der Inklusion in den südostasiatischen Ländern bei:
- Die Blindenschulen bilden selbst Fachkräfte aus und erhöhen so die Zahl der dringend benötigten Blindenpädagoginnen und -pädagogen in den jeweiligen Ländern.
- Blindenschulen können leichter und effektiver Aufklärungsarbeit leisten und so die Bevölkerung für die Bedürfnisse sehbehinderter Menschen sensibilisieren.
- Erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen dienen als Vorbilder und Multiplikatoren und werden selbst zu Fürsprechern der Inklusion.